Die Hexe

Hexen

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Albrecht Dürer, Die Hexe, um 1500

Albrecht Dürer, Die Hexe, um 1500

Kupferstich, ca. 11,6 x 7,2 cm, Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg.

 

Die Hexe – ein Zauberwesen, um das unzählige Erzählungen und Mythen aus der Geschichte kreisen und das auch heute noch jeder kennt. Ob die böse Hexe aus Hänsel und Gretel, die freundliche kleine Hexe von Otfried Preußler, fast jeder hat eine Vorstellung von dieser Figur.
Zu Lebzeiten Dürers war das Hexenwesen jedoch nicht nur Thema solcher Mären, sondern in Form von Hexereianklagen, Folter und Hinrichtungen realer Personen oft grausamer Alltag. Was glaubte und fürchtete die damalige Bevölkerung? Der Kupferstich lädt ein, mehr über das Hexenbild der Dürerzeit und seine Wurzeln zu erfahren.

1. Faktenseite

Beim Kupferstich Die Hexe handelt es sich um ein Werk Albrecht Dürers, das etwa 1500 entstanden ist. Der Stich zeigt eine auf einem gehörnten Tier reitende Hexe über einer Landschaft. Unterhalb der fliegenden Frauenfigur sind vier Putten dargestellt, die in ihrer Anordnung zusammen mit Hexe und Tier einen Kreis bilden, durch den der Betrachter auf den Horizont blickt.

Der Druck ist hochformatig und misst 11,8 cm x 7,2 cm am oberen bzw. 7,3 cm am unteren Rand, bezogen auf das Blattmaß. Das weiße Papier verfügt nicht über ein Wasserzeichen, das auf den Papierhersteller hinweisen könnte. Der Kupferstich ist am unteren Rand, leicht rechts der Mittelachse, mit dem Monogramm Dürers signiert, wobei das D unter dem großen A hier spiegelverkehrt abgedruckt ist. Eine Datierung ist auf dem Blatt nicht vorhanden.
Dürers Hexe ist Teil der Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg. An diese Institution gelangte der Druck durch eine Schenkung des Nürnberger Industriellen und Dürer-Sammlers Karl Diehl, der seit den 1950er Jahren eine Vielzahl von Werken dieses Künstlers zusammengetragen hatte. 2016 überließ er diese der Graphischen Sammlung (vgl. https://museen.nuernberg.de/kunstsammlungen/bestaende/neuerwerbungen/die-duerer-sammlung-diehl/ (Stand: 07.09.2016)).

Der dem Kupferstich beigefügte Text aus der Sammlung Diehl lautet:
„Ausgezeichneter Frühdruck im 1. Zustand. Mit Fassettenschwärze. Auf Papier ohne Wasserzeichen wie dies bei so kleinen Blättern häufig vorkommt. Außergewöhnlich selten. Diese Darstellung war in der damaligen Zeit, in der fast nur religiöse Blätter gefragt waren, sicher nicht sehr begehrt. In den letzten 12 Jahren ist uns dieser Kupferstich als guter Druck nur in diesem Exemplar untergekommen.“

Das gut erhaltene Blatt ist knapp außerhalb des Facettenrandes leicht ungleichmäßig beschnitten, mit einem Abstand von etwa 1-3 mm zum Druck. Es sind keine Stockflecken zu erkennen, lediglich in der linken oberen Ecke ist das Papier leicht bräunlich verfärbt und das Weiß des gesamten Blattes scheint ergraut.
Am linken Blattrand erkennt man bereits von vorne zwei abgeschnittene Streifen von Klebeband, die auf der Rückseite angebracht wurden. Hinten befinden sich am Rand noch die beiden wenige Millimeter breiten und etwa 2 cm hohen Klebestreifenreste, einer in der oberen und einer in der unteren Blatthälfte.
Ebenfalls auf der Rückseite des Kupferstiches sind mehrere kleine Beschriftungen zu erkennen, die zum Teil mit Bleistift, zum Teil wohl mit Tinte vorgenommen wurden.

2. Bildbeschreibung und kompositionelle Analyse

Die auf dem Stich dargestellte Szenerie wird dominiert von der fliegenden Hexe, die zusammen mit dem Tier, auf dem sie reitet, etwa die Höhe und Breite der oberen Bildhälfte einnimmt. Das gehörnte Tier stellt vermutlich einen Ziegenbock dar, der von links nach rechts mit einem großen Sprung das Bild durchquert. Mit Maul und Vorderhufen rechts und einem über sein Hinterteil wehenden Tuch links, das vom Bildrand abgeschnitten wird, nimmt der Bock die gesamte Bildbreite ein. Die Hexe dagegen sitzt verkehrt herum auf ihrem Reittier, und ihr zum linken Bildrand gewandtes Gesicht mit den wehenden, langen Haaren lässt auf eine Bewegungsrichtung schließen, die der des Ziegenbocks entgegengesetzt ist. Das Gesicht der alten Frau ist im Profil zu sehen, während sie den Oberkörper leicht zum Betrachter hin gedreht hat, um sich mit ihrer linken Hand hinter ihrem Rücken am Horn des Tieres festzuhalten. Der Oberkörper der Frau erscheint ausgezehrt und alt, während ihr Arm einschließlich Schulter und Nacken kräftig, muskulös und fast schon männlich anmuten. Über der rechten Schulter liegt ein großes Tuch, das über den rechten Arm zum Hinterteil des Bockes und bis zum linken Bildrand fällt. In der rechten Hand, die aus dem Tuch heraus schaut, hält die Hexe einen Spinnrocken auf einem langen Stiel, der zwischen ihren Schenkeln ansetzt. Der Spinnrocken ragt vor dem Gesicht der Frau bis an den oberen Bildrand schräg auf und weist kompositorisch in die linke obere Bildecke, aus der eine Art Regen- oder Hagelschauer hervorgeht. Eine Spindel, die in den Rocken hineingesteckt ist, reicht fast ganz in den Schauer hinein.

Unterhalb der reitenden Hexe ist eine Gruppe von vier Putten angeordnet.
Links der Mittelachse, vor dem Hinterteil des Ziegenbockes, trägt eine der kindlichen Figuren einen Blumentopf mit kugelförmig zugeschnittener Pflanze auf der Schulter, während sie sich mit der anderen Hand auf einen Stock stützt, um auf einen Steinbrocken zu steigen. Der Pflanzenträger bewegt sich auf den linken Bildrand zu, während sich kompositorisch leicht rechts vor ihm ein weiterer geflügelter Knabe vornüber beugt. Er versucht scheinbar eine kleine Erhöhung im Gelände zu erklimmen und ist für den Betrachter  schräg von hinten zu sehen. Der Putto macht einen großen Ausfallschritt und stützt sich, wie auch der erste, auf einen Stab. Sein Kopf berührt fast den Erdboden. Rechts neben ihm und damit rechts der vertikalen Mittelachse des Stiches sitzt mit dem Rücken zum Betrachter ein weiterer Knabe mit Flügeln, dessen Füße in einer Erdspalte oder hinter abschüssigem Boden verschwinden. Er stützt sich auf seinen linken Unterarm, um sich dem Vornübergebeugten neben ihm zuzuwenden und nach dessen Stab zu greifen. Über dem Rücken dieses Kindes wird der Blick frei auf den vierten Putto, der, stehend wie der erste, körperlich zur Bildmitte gewandt ist. Auch er hält einen Stock, versucht jedoch zugleich ein kugelförmiges Objekt zu umgreifen und offenbar festzuhalten, das etwa die Größe seines Kopfes hat. Die Puttenknaben bewegen sich auf einem erdigen Untergrund, der mit Stein- und Vegetationsfragmenten belebt ist. Im Hintergrund wird der Blick frei auf einen Horizont, den hinter der vordergründigen Landschaft ein schmaler, mit zum Teil langen Querlinien schraffierter Streifen begrenzt. Dabei könnte es sich um Wasser, Nebel oder auch schlichtweg eine undefinierte Landschaft handeln. Oberhalb der Horizontlinie besteht der Hintergrund aus einer einheitlichen hellen Fläche, die nicht weiter ausgestaltet ist und nur durch die Sturm- bzw. Regenbö oben links durchbrochen wird.

Durch die kreisförmige Figurenanordnung entsteht in der Komposition eine Art Binnenrahmung um die innerhalb des Kreises frei bleibende Fläche. Diese liegt genau dort, wo sich sowohl die Bilddiagonalen als auch horizontale und vertikale Mittelachse schneiden. Sie gibt einen Durchblick auf den Horizont frei, in den der Stab der vorderen beiden Putten aufragt. Die Stöcke der Flügelknaben korrespondieren optisch mit dem der Hexe und schaffen so eine Verbindung der Figuren in der Szene. Eine solche Verbindung entsteht auch durch die Kreisform an sich, die sich nur durch das Zusammenspiel aller Beteiligten zu einer solchen ergänzt. Vollzieht man gedanklich die Kreisbewegung nach, so scheint sie ihren Ausgangspunkt rechts zwischen dem Horn des Bockes und dem Kugelobjekt des Knaben darunter zu haben, da dies die einzige Stelle ist, an der sich die geflügelten Figuren weder untereinander noch mit der Hexe überschneiden. Von hier aus verläuft die imaginäre Kreisbewegung im Uhrzeigersinn weiter und die Hexe ist dabei das einzige Lebewesen, dass sich diesem Verlauf offensichtlich entgegengesetzt.

Die Komposition erzeugt innerhalb des Kupferstiches eine Bewegungsrichtung, die entgegengesetzt zur Sprungrichtung des Ziegenbocks verläuft.
Die reitende Hexe weist mit den hinter ihr fliegenden offenen Haaren, ihrem Blick und dem zum Schrei geöffneten Mund von der vertikalen Mittelachse aus nach links. Ebenso sind die geflügelten Knaben in diese Richtung gewandt. Ausgenommen davon ist der vornüber gebeugte Putto, allerdings weisen seine Flügel und der rechte Arm etwa parallel zur Bilddiagonalen ebenfalls nach links oben, was noch unterstützt wird von der ausgestreckten Hand des Knaben rechts davon. Auch der regenartige Schauer links oben greift, auch wenn er in Richtung der Bildmitte niedergeht, in seiner Linienschraffur die diagonale Bewegungsrichtung auf. So korrespondiert er mit einer Diagonalen, die im Knaben rechts unten entspringt. Dieser erzeugt durch die Drehung seines Oberkörpers bereits den Beginn einer Linie, die von seinen verschatteten Füßen am rechten Bildrand aus durch rechten Flügel und Kopf  verläuft. Durch den Stab seines Nachbarn, nach welchem er greift, wird die Bewegungsrichtung nach oben noch deutlicher.
Die untere Bildhälfte leitet durch die drei von den Knaben gehaltenen Stöcke insgesamt die Aufmerksamkeit geradezu nach oben, also in die Bildhälfte mit der reitenden Hexe. Bezieht man nicht nur die einzelnen Körper der Putten mit ein, sondern fasst die unteren beiden zusammen, so ergibt sich zudem eine Dreiecksform. Sie verläuft über Flügel und Kopf des rechten und den gebeugten Rücken des linken Kindes und mündet im oberen Ende ihres Stabes. Dieses Dreieck bildet ein großes, nach links oben weisendes Kompositionselement.

Die dargestellten, größtenteils nackten Körper aller Figuren sind eher hell ausgestaltet und werfen selbst keine nennenswerten Schatten. Plastizität erhalten sie durch Linien- und Kreuzschraffur, die bei der alten Frau vor allem Muskeln und Hautfalten hervorheben und bei den geflügelten Knaben kindliche, fast speckige Rundungen. Die Haare der einzelnen Dargestellten sind individuell ausgestaltet und auch die haarige Struktur des Ziegenfells ist gut erkennbar. Das Tier tritt optisch etwas zurück, da ihm die anderen Körper zum Teil vorgelagert sind und weil es mit seinem Fell eine dunklere Färbung aufweist. Da der Hintergrund und die vordergründige Landschaft größtenteils aus recht hellen Flächen bestehen, weist der Kupferstich nur in geringem Maße dunkle Zentren auf. Diese sind vor allem im Oberkörper des Ziegenbocks und in der Flügel- und Beinregion des Knaben rechts vorne zu finden. Kleinere dunkle Stellen bilden der Kopf des vornübergebeugten Putto sowie der verschattete Teil des Tuches, das vom Hinterteil des Reittieres zum linken Bildrand weht.

Typisch für Dürer ist die differenzierte Ausgestaltung der verschiedenen Oberflächenstrukturen. Seine form- und materialitätsbezeichnenden Linien setzt er für das Fell des Bockes ganz anders ein als beispielsweise für die wehende Mähne der Hexe und die glatten und lockigen Haare der Putten. So schafft er es, dem Kupferstich optisch eine große Vielfalt zu verleihen und die Figuren individueller wirken zu lassen.
Auch bezüglich der dargestellten Körper weist Dürers Kupferstich eine große Vielfalt auf. Zum einen bilden die kindlichen Putten mit ihren kindlichen Rundungen einen Gegenpol zur alten, ausgemergelten und doch kräftigen Hexe. Zum anderen sind alle fünf Figuren in verschiedenen Körperhaltungen und -drehungen zu sehen, womit Dürer seine Fähigkeit zur Schau stellt, jede erdenkliche Pose bildlich erfassen zu können.

Als Vorbild für Dürers Kupferstich und seine Figuren kann Andrea Mantegnas Stich Kampf der Seegötter aus der Zeit nach 1480 genannt werden. Nicht nur die alte und ausgezehrte Frauengestalt, die bei Mantegna eine Verkörperung von Idvidia, Neid, ist, weist eine große Ähnlichkeit zu Dürers Hexe auf. Unter anderem erinnern auch die verschiedenen Körperhaltungen der übrigen Beteiligten und ihre stabförmigen Attribute an den kleinformatigeren Stich (vgl. Venjakob, Judith: Albrecht Dürers „Die Hexe“, um 1500. In: Interdisziplinäre Hexenforschung online 4 (2012), Sp. 46-78. (aus: URL: https://www.historicum.net/purl/2y7zmf/ (Stand: 06.09.2016).)).
Noch weiter zurück reicht die Darstellungstradition der Putti. Hier lässt sich ein Verweis auf dionysische Sarkophagreliefs heranziehen, überliefert beispielsweise durch  die Darstellung der Amoretten und Ziege eines Monogrammisten aus Italien.

3. Erläuterung des Bildgegenstandes

Um Dürers Kupferstich Die Hexe rein motivisch einordnen zu können und sich dem dargestellten Bildgegenstand anzunähern, ist es sinnvoll, Darstellungstraditionen, Vorläufer und die ikonographischen Konnotationen der einzelnen Bildelemente zu untersuchen.
Die Entstehungszeit des Stiches war geprägt vom Aberglauben an Hexen und deren schändliches Treiben, das Mensch und Tier in Gefahr bringen konnte. Entsprechend gehörten Misstrauen, Hexenverfolgungen, Folter und Todesurteile teilweise zum alltäglichen Geschehen und es ist nicht verwunderlich, dass sich diese Thematik auch in der Kunst aus jener Zeit wiederfindet.

3.1 Das Hexenmotiv

Der Kupferstich von Albrecht Dürer wurde im Laufe der Jahrhunderte von der Forschung immer wieder neu verstanden und interpretiert.
All die verschiedenen Deutungen sind sich jedoch darin einig, dass es sich bei der in der oberen Bildhälfte dargestellten reitenden Figur unumstritten um eine Hexe handelt. Zieht man andere Hexendarstellungen aus der Entstehungszeit von Dürers Werk heran, so gibt es Parallelen, die die bildliche Darstellungstradition dieser Figur charakterisieren. Darin finden sich beispielsweise das weibliche Geschlecht der Hexe, der Akt des Reitens, aber auch der Bock als Reittier, und die Nacktheit der Figur in vielen Hexendarstellungen des 16. Jahrhunderts wieder. Ebenso können das Attribut des Spinnrockens und die Verbindung der Hexe mit einem heraufbeschworenen Unwetter als epochentypisch für die Darstellung von Hexen genannt werden.

Worin sich Hexenbildnisse der Dürerzeit und späterer Künstler jedoch unterscheiden, ist die Darstellungsform der Frauenfigur an sich. Solchen wie Dürers Hexe, die einen alten, teils ausgemergelten und teils maskulin anmutenden Körper aufweist, stehen auch Hexenbilder gegenüber, die eine schöne, oft nackte und begehrliche junge Frau zeigen. So ist es etwa in Dürers Kupferstich Vier nackte Frauen von 1497 der Fall, soweit man der Deutung der dargestellten Figuren als Hexen folgt. Gleiches gilt für Hans Baldung Griens Hexensabbat, der neben älteren auch junge Hexen zeigt. Vor allem die auf einem Bock reitende ist von der  jugendlichen Schönheit ihres Körpers mit den langen, wehenden Haaren, geprägt.

Dürer greift mit seiner Hexe also die zu seiner Zeit vorherrschenden Hexenvorstellungen in vielerlei Hinsicht auf. Eines der offensichtlichsten Merkmale ist, dass die Figur durch die Luft fliegt. Ob auf Besen, Tier oder einem durch Zauberei hörig gewordenen Menschen – die Gabe, fliegen zu können, wurde vermeintlichen Hexen nachgesagt und unzählige Male bildlich dargestellt. Der Ritt von Dürers  Hexenfigur auf einem Ziegenbock ist ebenfalls ein weitverbreitetes Motiv. In der gesamten Hexenthematik spielen Tiersymbole eine große Rolle, und der Bock kommt in vielen Darstellungen in diesem Kontext vor und wird motivisch zum Teil als Überbleibsel aus heidnischen Fruchtbarkeitskulten angesehen (vgl. Heidi Staschen und Thomas Hauschild: Hexen. Königsförde 2001, S. 13). Dem Tier wurde nachgesagt, eine Erscheinungsform des Teufels zu sein, der sich in dieser Gestalt heimlich mit weiblichen Hexen paarte (vgl. Ditte und Giovanni Bandini: Kleines Lexikon des Hexenwesens. 2. Aufl. München 2000,  S. 236.).
Zum einen kann der Bock also als Reittier auf dem Weg zum Blocksberg dienen, wo der Hexensabbat, eine nächtliche Zusammenkunft und ungehemmte Feier der Hexen mit dem Teufel, vollzogen wird. Zum anderen wird er häufig als Verkörperung sexueller Gier eingesetzt und steht im Zentrum von Sabbatdarstellungen als Herrscher über den Hexenreigen. Auch beim Beischlaf mit jungen Hexen, die dadurch in die Zunft eingeweiht werden, ist der Ziegenbock oft zu sehen (vgl. Staschen und Hauschild 2001, S. 13). Der Bock wird als Verkörperung des Teufels selbst in vielen Darstellungen auch nur angedeutet. Ein gängiges Motiv ist beispielsweise eine menschliche Figur mit Ziegenbeinen und –hufen. Bei Dürers Hexendarstellung ist der Bock nicht direkt als sexuelles Element eingebaut. Als Hinweis auf diese Thematik kann allerdings der Stiel des Spinnrockens gesehen werden, den die reitende Frau mit sich trägt und mit ihrer rechten Hand in ihre Schamgegend hält. Ob der Spinnrocken als Phallussymbol gelten kann oder nicht – in diesem Kontext greift in jedem Fall eine Theorie des Dürer-Forschers Rainer Schochs, der die Hexendarstellung Dürers insgesamt in einen Zusammenhang mit der Aphrodite Pandemos stellt. Diese galt in der Antike als Göttin der gemeinen, sexuellen, körperlichen Liebe – im Gegensatz zur Aphrodite Urania, die Symbol der himmlischen, reinen Liebe war. Der Verweis auf die Darstellungstradition der reitenden Aphrodite Pandemos auf einem Ziegenbock scheint hier passend, denn Sexualität, Triebhaftigkeit und letztlich Buhlschaft mit dem Teufel waren Vorwürfe, die während der Hexenverfolgungen zur Dürerzeit eine große Rolle spielten.
Der Spinnrocken als solcher ist, ebenso wie auch der Bock, ein gängiges Element in Hexendarstellungen. Eine mögliche Erklärung dafür liefert eine Theorie, die Hexen in einen Sinnzusammenhang mit den nordischen Schicksalsgöttinnen, den Nornen, stellt (vgl. Staschen und Hauschild 2001, S. 32). So wie die im heidnischen Glauben anzusiedelnden Nornen den Schicksalsfaden spinnen und für Glück oder Unheil verantwortlich sind, so war es im früheren Glauben auch Hexen möglich, durch Unheilszauber über Schicksale zu entscheiden. In diesem Kontext können Spinnrocken und Spindel im Zusammenhang mit dem Schicksalsfaden verstanden werden. Diese Theorie lässt sich an dem Stich Drei Hexen von Hans Baldung Grien besonders deutlich nachvollziehen. Hier stimmt auch die Anzahl der drei Frauen mit der Vorstellung von den drei Nornen überein.
Doch nicht nur heidnische nordische Gottheiten wie die Nornen lassen einen Bezug zum Spinnrocken von Dürers Hexe zu. Auch im deutschen Aberglauben des Mittelalters findet sich ein möglicher Ausgangspunkt dieser Darstellungstradition: So genannte Weibsdämonen wurden schon damals im Aberglauben gefürchtet. Man sagte ihnen nach, dass sie nachts in Schwärmen durch die Luft flögen, was den Vorstellungen von den späteren Hexen sehr nahe kommt. Außerdem sollen diese Dämonen für das Spinnen und den Flachs zuständig gewesen sein, was inhaltlich zum Spinnrocken passt (vgl. ebd).
Hinzu kommt der Glaube an die Sagengestalt Perchta, welche als Patronin mittelalterlicher Spinnstuben galt (vgl. ebd) und Belohnungen und Bestrafungen für Fleiß und Faulheit bereithielt. Spinnstuben, ein von Frauen dominiertes Gewerbe, waren insgesamt ein von Verleumdung bedrohtes Berufsfeld und die ausschließlich weiblichen Mitglieder oftmals Gegenstand von Hexenprozessen. Auch diese Tatsache reiht sich in die möglichen Erklärungen des Spinnrockens als Hexereisymbol ein.

Ein weiteres Element in Dürers Kupferstich, das sich in vielen Hexendarstellungen wiederfindet, ist auch der Regen- oder Hagelschauer, der bei Dürers Hexe aus der linken oberen Ecke hernieder geht. Aus dem Pakt einer Hexe mit dem Teufel ging nach den Vorstellungen in der Dürerzeit vor allem die Macht und die Absicht hervor, Schädliches über die Menschheit zu bringen. Neben Angriffen auf Gesundheit und Harmonie von Menschen und Tieren zählte man dazu in erster Linie auch Unwetter. Diese konnten  in der landwirtschaftlich geprägten Zeit verheerende Wirkungen auf Ernte und Vieh haben und die Existenzgrundlage gefährden. So begründete man ungünstige Wetterphänomene und Naturkatastrophen damit, dass sie von einer Hexe herbeigerufen worden wären (vgl. Staschen und Hauschild 2001, S. 12). Hier lässt sich außerdem eine Brücke schlagen zwischen dem Unwetter und der Gestalt des Ziegenbockes. Zusammen genommen könnten diese Elemente auf das alte germanische Bild des Gottes Donar, auch als Thor bekannt, hindeuten. Als dessen Zugtier galt der Bock und zudem war Thor die für Wetter und Gewitter zuständige Gottheit (vgl. Bandini 2000, S. 237). Möglicherweise hat sich hier eine heidnische Überlieferung in die Vorstellung von (Wetter-)Hexen gemischt.

3.2 Die Puttendarstellung

Während sich die Untersuchungen zu Dürers Hexenbildnis in der Charakterisierung der Hexe als solche einig sind, weist die Forschung im Bezug auf die in der unteren Bildhälfte dargestellten Putten Uneinigkeiten auf.

Fredo Bachmann sieht die gegensätzlichen Bildhälften in einem Aufsatz zum Kupferstich Dürers als Darstellung der beiden Elemente Luft und Erde an. Er versteht die Hexe als ein Patenkind des Saturn und die Luft mit dem Wetter als das ihr zugeordnete Element. Die Putten in der unteren Bildhälfte sind für Bachmann diejenigen, die das Element der Erde verkörpern, da sie dem Erdboden verhaftet sind, ihn samt seiner Unebenheiten und Erhöhungen erklimmen und sich auf ihm bewegen. Die Stöcke der kindlichen Figuren werden dabei als Zeichen der Erdenwanderung gedeutet. Die Kugel des rechten Putto deutet Bachmann als stilisierte Frucht, die auf das bäuerliche Leben auf der Erde anspielt, oder als Objekt aus Holz oder Stein, das für handwerkliche Tätigkeit mit irdischen Materialien steht. In der zurechtgestutzten Form des Bäumchens des linken Putto erkennt der Autor eine Anspielung auf die Gartenkultur der Zeit, wo sich die formschaffende Dominanz des Menschen über die Natur zeige. Insgesamt liegt diesem Deutungsansatz eine Darstellung des Emporstrebens des Menschen auf realer, irdischer, aber auch auf ideeller Ebene zu Grunde. Dies beginnt demnach mit dem rechts vorne angeordneten Kindchen, das einem Erdspalt entsteigt (vgl. Fredo Bachmann: Zur Deutung des Kupferstiches „Die Hexe“ (B. 67) von Albrecht Dürer. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 75 (1988), S. 223-226, hier S. 24f.).

Eine andere Theorie sieht den gesamten Kupferstich als eine Darstellung von Saturns Kindern an und rückt das Thema somit auf eine astrologische Ebene. Dabei gilt Saturn als Herr über die Erde in Form des Ackerbaus, aber auch als Herr über Hexenmagie und das Sternbild des Steinbocks (vgl. Rainer Schoch u.a. (Hrsgg.): Dürer. Das druckgraphische Werk. 3 Bde. Bd. 1: Kupferstiche, Eisenradierungen und Kaltnadelblätter. München u.a. 2001, hier S. 87), was in der auf dem Bock reitenden Hexe zum Ausdruck kommen soll. In diesen Kontext passt auch eine von Teja Bach entwickelte These. Ihm zufolge handelt es sich bei der Reitenden nicht um eine Hexe, sondern um Ananke, Tochter und Botin von Saturn, die als Schicksalsgöttin galt (vgl. Venjakob 2012). Entsprechend legt Bach die geflügelten Knaben als Planetenkinder aus, die die vier saturnischen Eigenschaften verkörpern: „Wasser und Landwirtschaft, Erdverbundenheit und die Niederungen des Körperlichen.“ (Venjakob 2012). Bach sieht in dem fliegenden Tier zudem keinen Ziegen-, sondern einen Steinbock. Das entsprechende Sternzeichen, lateinisch capricornus, gilt als Mischwesen aus Bock und Fisch und ist auf dem Dürer-Stich Die nördliche Hemisphäre dargestellt. Hier erkennt Bach eine Übereinstimmung zwischen dem flossenartigen Hinterteil der Sternzeichendarstellung und dem Bock in Dürers Hexe. Dessen hintere Körperhälfte, die von einem Tuch umschlungen ist, wirkt in die Länge gezogen. Daraus leitet er einen Zusammenhang zwischen capricornus mit dem zugehörigen Planeten Saturn und dem fliegenden Reittier ab.

Uneinigkeit herrscht auch in der Deutung des kugelförmigen Objekts, das der rechts stehende Putto balanciert. Neben den bereits angesprochenen Interpretationen als stilisierte Frucht oder künstlerisches Objekt aus Holz oder Stein wirft Fredo Bachmann auch eine Deutung als rundes, zum Aufhängen gedachtes Trinkgefäß auf (vgl. Bachmann 1988, S. 225).

Betrachtet man die Kugel im Zusammenhang mit anderen Darstellungen auch aus Dürers Œuvre, so tritt eine weitere Deutungsmöglichkeit auf den Plan: die Kugel als Symbol für Wandelbarkeit und Unbeständigkeit, als Gegenspielerin des Kubus, der Festigkeit und Beständigkeit ausdrückt. Diese Funktion der Kugel spielt bei Dürer selbst eine Rolle in der Darstellung der Fortuna von 1495/96. Hier balanciert die Personifikation des Glücks auf einer Kugel. Damit spielt Dürer wohl auf das Schwanken und die Unbeständigkeit des Glücks an, die auch im Bezug auf Hexerei und möglichen Schadenszauber sinnvoll erscheint. Ebenso taucht eine Kugel in Dürers Kupferstich Der Traum auf. Hier bläst eine Art teuflischer Dämon einem Schlafenden Träume ins Ohr, die sich um die Verführung des Mannes durch eine im Traum erscheinende Venusfigur drehen. Der Putto im Vordergrund, wohl Amor, versucht auf Stelzen zu balancieren, was zusammen mit der rollenden Kugel wiederum auf Unbeständigkeit hindeutet (vgl. Schoch 2001, S. 65).
In diesem Zusammenhang kann die Kugel im Kupferstich Die Hexe auch als Zeichen von Unbeständigkeit, Unsicherheit und Schwanken aufgefasst werden, die durch einen Zauber der Hexe ausgelöst wird.
Passend ist hier die Analyse von Panofsky und Anzelewsky als bedeutende Forscher bezüglich der Dürer-Grafik, die die Putti in ihren Verrenkungen und die Hexe in ihrem seitenverkehrten Ritt als Zeichen einer „[V]erkehrten Welt“ (Schoch 2001, S. 86.) erkannt haben, die wohl durch Hexerei durcheinander gebracht worden ist.
Entsprechend lässt sich dies auch auf die kreisförmige Komposition übertragen. Die Putti beschreiben zusammen mit dem fliegenden Bock eine Kreisbewegung im Uhrzeigersinn, die in ihrer Richtung nur durch die Bewegungsrichtung der Hexe nach links gestört wird.

Nicht zu vernachlässigen ist weiterhin die Anzahl der Putti. Dass genau vier von ihnen auf Dürers Stich zu sehen sind, ruft die Tetraden-Thematik auf den Plan. Demnach kann die Vierergruppe auf unterschiedliche Weise gedeutet werden. Zum einen kann eine Anspielung auf die vier Elemente – Erde, Wasser, Feuer und Luft – oder ein Verweis auf die vier Jahreszeiten intendiert sein. Des Weiteren ist eine Auslegung der kindlichen Gestalten als Himmelsrichtungen oder auch als vier Winde denkbar, wobei Boreas, der Winterwind, vermutlich der einzig bekleidete wäre. Dies trifft folglich auf den Knaben vorne rechts zu, der eine Art Tuch über der Schulter und am Körper trägt. Die Darstellung der verschiedenen Lebensalter ist ebenfalls ein geläufiges Motiv der Zeit, das in den Putten aufgegriffen sein könnte. Ein weitaus deutlicheres Beispiel für diese Thematik liefert Hans Baldung Grien in seinem Stich Drei Parzen, auf dem neben einem Kleinkind am unteren Bildrand eine junge und eine erwachsene Frau und eine Greisin dargestellt sind.

Letztlich ist die Frage, welche Theorie auf die dargestellten Flügelknaben zutrifft, weiterhin offen. Es ist jedoch durchaus möglich, dass sich die verschiedenen Ansätze nicht grundsätzlich gegenseitig ausschließen, gerade weil Dürer keine eindeutig lesbare Zuordnung erzeugt.

4. Kontextualisierung

Die Entstehung des Kupferstiches fällt in eine Zeit, in der die Hexenverfolgung in Europa und auch in Franken in vollem Gange war. Das Leben der Bevölkerung war beherrscht von der Angst vor Hexerei. Misstrauen, gegenseitige Verdächtigungen und Verleumdungen prägten den Alltag ebenso wie Hexenprozesse, grausame Folter und die Vollstreckung von Todesurteilen auf dem Scheiterhaufen oder durch andere Praktiken. Es entstanden Traktate, die definieren sollten, woran man eine Hexe erkennen konnte, welche Foltermethoden und Prüfungen angewandt und welche Vergehen ihr vorgeworfen werden konnten. Eine der bekanntesten derartigen Schriften ist sicherlich der so genannte Hexenhammer, der 1487 vom Dominikanerinquisitor Heinrich Kramer veröffentlicht wurde und große Verbreitung fand. Dieser Inquisitor war vom Papst persönlich eingesetzt und widmete sich im Auftrag der Kirche den Verbrechen von Hexen beiderlei Geschlechts. Im Zuge der Hexenverfolgung wurde die Anschuldigung, eine Hexe zu sein, quasi mit der Anklage der Ketzerei zusammengeführt. Anfangs bezogen sich die Vorwürfe vor allem auf so genannte Schadenszauber, die als Erklärung für rational nicht nachvollziehbare Ereignisse dienten. Hierzu zählten beispielsweise das Krankmachen von Personen oder Tieren oder auch Wetterzauber, die etwa durch Unwetter ganze Ernten vernichten konnten. Außerdem war einer der Vorwürfe in Hexereianklagen der angebliche Abfall vom christlichen Glauben und das Eingehen einer Verbindung oder eines Paktes mit dem Teufel. Später kam zu den so genannten Hexereidelikten noch der Hexenflug hinzu (vgl. Markus Hirte: Die Entstehung des Hexereidelikts. In: Markus Mergenthaler und Margarete Klein-Pfeuffer: Hexenwahn in Franken. Dettelbach 2014, S. 46-65, hier S. 57). Dieser meist nächtliche Ritt durch die Luft wurde angeblich durch eine spezielle Hexensalbe möglich, die im Aberglauben zum Teil aus den Gliedern von ungetauften und getöteten Neugeborenen gewonnen werden konnte (vgl. Bandini 2000, S. 164). Nach Überlieferungen aus dem Mittelalter sind Rezepte von Salben bekannt, die scheinbar tatsächlich halluzinatorische Flugerfahrungen auslösen konnten (vgl. Staschen und Hauschild 2001,  S. 10).
Die Vorstellung vom Treiben einer Hexe kulminierte schließlich in der Erfindung des so genannten Hexensabbats, der als nächtliche Versammlung von Hexen auf dem Blocksberg charakterisiert wird. Der Berg, der als Grundlage für diese Ideen diente, ist der Brocken, ein 1142 Meter hoher Berg im Harz. Die populären Erzählungen von Hexentreiben und Sabbatfesten führten dazu, dass auch für andere angebliche Hexentreffpunkte der Name Blocksberg verwendet wurde, wenn sie auf einer Erhöhung lagen. Den Hexensabbat verband die Bevölkerung zur Zeit der Hexenverfolgungen grundsätzlich mit orgiastischen und sexuellen Vorstellungen. Dort sollen die Hexen ungehemmt den Teufel verehrt, ihm gehuldigt und sich somit von allen Werten der christlichen Kirche abgewendet haben.  Die Vorstellungen des Hexensabbats und der nackten, orgiastischen Tänze mit dem Teufel in ihrer Mitte deutete die Kirche als eine „ketzerische Parodie auf die christliche Messe“ (Staschen und Hauschild 2001, S. 10f), da dort alles ausgelebt werden konnte, was die kirchlichen Normen sonst untersagten.

Insgesamt machte sich die Kirche den Wahn der Hexenverfolgungen zu Nutze und . schürte ihn sogar für ihre Zwecke. Zum einen sollte die Hexenverfolgung und Verurteilung ketzerischen Treibens volkstümliche und heidnische Bräuche und Riten ausmerzen. Somit sollte eine nicht nur oberflächliche Christianisierung vorangetrieben werden. Zum anderen wurde die Bevölkerung durch die Angst vor dem Teufel und dessen Gehilfen immer näher an die Kirche gebunden und von ihr abhängig gemacht.

Zu jener Zeit entstanden auch Gerüchte, die ganze Berufsgruppen in den Generalverdacht der Hexerei brachten. Ein Opfer dieser Verleumdungen waren die von Frauen betriebenen Spinnstuben. Ein Grund, warum diese so misstrauisch betrachtet wurden, war, dass es sich dabei um ein reines Frauengewerbe handelte. Dabei spielt das ansonsten männlich dominierte Gesellschaftsbild jener Zeit eine Rolle. Eine Frau war damals „Besitz“ eines Mannes, erst ihres Vaters, später ihres Gatten (vgl. ebd., S. 35). Sämtliche Ämter und gesellschaftlich bedeutende Positionen waren von Männern besetzt. Es scheint geradezu logisch, dass in einer solchen Weltsicht reine Frauengemeinschaften suspekt erschienen, die sich der Kontrolle durch männliche Teilnehmer entzogen. Ein anschauliches Beispiel liefert der Holzschnitt Spinnstube von Barthel Beham aus dem Jahre 1524. Hier ist dargestellt, wie sich Außenstehende das Leben hinter den verschlossenen Türen solcher Stuben wohl ausgemalt haben müssen – als hemmungsloses, chaotisches und erotisches Treiben. So wurden derartige ausschließlich weibliche Domänen Opfer von Verdächtigungen hexerischen Treibens. Ein weiterer Berufszweig, der unter der Paranoia des Hexenwahns zu leiden hatte, waren auch Hebammen. Ihre Nähe zu Naturheilkunde und medizinischem Wissen waren dafür ebenso Gründe wie die ebenfalls weibliche Dominanz auf dem Feld der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. So fielen auch Hebammen besonders häufig Hexenprozessen zum Opfer (vgl. Staschen und Hauschild 2001, S. 40ff).

Es kann also insgesamt auch die Angst vor „Weibermacht“ als eine der Grundlagen für den Hexenwahn betrachtet werden.
Hinzu kam die immer strenger werdende Reglementierung innerhalb der Gesellschaft, die einen Nährboden für Gerüchte um Tabubrüche aller Art bildete.

Betrachtet man den Kupferstich Dürers mit der Darstellung der Hexe nun noch einmal vor dem historischen Hintergrund seiner Entstehungszeit, stellt sich automatisch die Frage nach seiner Funktion. Die bisherige Forschung ist sich darin einig, dass Dürer hier keine moralisch-appellierenden Absichten oder gar eine Warnung vor der Hexerei aussprechen wollte. Der Dürer-Experte Rainer Schoch spricht in seinem ersten Band zum druckgraphischen Werk des Künstlers sogar von einem „launigen Einfall[…]“ (Schoch 2001, S. 87) und „ironischer Distanz“ (ebd.), die der Künstler gegenüber anderen Hexendarstellungen mit düsterem, beängstigendem Bildinhalt an den Tag legt.
So scheint Dürers Kupferstich in manchen Untersuchungen wie eine nüchterne Betrachtung der Hexenthematik und eher kompositorisch interessant als moralisch-wertend oder gar Unheil verkündend.

Schlussendlich muss festgehalten werden, dass Die Hexe trotz eingehender Untersuchungen und Deutungen noch immer keine eindeutige Interpretation erfahren hat und zumindest einige Elemente in Dürers Stich rätselhaft bleiben.

5. Interpretation des Werkes

Auch wenn einige Elemente in Dürers Kupferstich Die Hexe ungeklärt oder vielseitig auslegbar bleiben, lässt das Werk dennoch Rückschlüsse über den Künstler zu. Die dargestellte Szene ist kompositorisch so durchdacht und vielseitig, dass dem Werk wohl kaum eine mahnende, warnende oder Angst erzeugende Intention zugrunde liegt.
Wie erläutert, scheint die sorgfältige Ausarbeitung der Komposition ebenso von Belang für den Künstler gewesen zu sein wie die Darstellung verschiedenster menschlicher Posen. Die Drehungen und Wendungen der Knabenkörper zeugen vom Können Dürers, jede Position zu erfassen. Hinzu kommt die differenzierte Ausgestaltung der verschiedenen körperlichen Eigenheiten von kindlichen Menschlein, alter Frau und einem Tier. All dies passt zu Dürers Bestreben, stets exemplarisch zu arbeiten und mit seinen dargestellten Figuren sozusagen Paradebeispiele für die jeweilige Gestaltung zu liefern. Gleiches trifft auch auf andere Werke des Künstlers zu, wie etwa den Stich Adam und Eva (vgl. Bandini, S. 183), der idealisierte Körper von Frau und Mann zeigt. Dieses Bestreben nach exemplarischem und veranschaulichendem Arbeiten kulminiert bei Dürer später im Verfassen von Lehrbüchern. Diesbezüglich liefert die Hexenfigur eine Vereinigung von mehreren Elementen, die das Hexenbild der damaligen Zeit veranschaulicht.

Die Relevanz, die der Hexe zukommt, erkennt man auch daran, dass Dürer das D in seinem Monogramm spiegelverkehrt abgedruckt hat. Es hat somit die gleiche Ausrichtung nach links wie auch die Reitende auf dem Bock. Der Spiegel, der notwendig ist, um den Buchstaben in seiner korrekten Schreibweise zu lesen, galt als magisches Artefakt, das zu vielerlei Hexereien verwendet wurde.[1] Somit reiht sich selbst Dürers Monogramm in den Kontext ein.

Judith Venjakob schreibt in ihrer Abhandlung zu Dürers Stich: „Werden alle Verweise verknüpft, scheint der Hexenflug auf dem Ziegenbock ein Ausdruck von Neid, Teufelsbündnis und Apostasie zu sein und damit […] die Bedrohung und Umkehrung moralisch-religiöser, als auch sozialer Ordnungsstrukturen vorzuführen.“ (Venjakob 2012). Es  scheint tatsächlich dieses Vorführen zu sein, was der Künstler hier im Sinn hatte. Die Hexe zeigt gängige Vorstellungen zu Aussehen und Treiben dieser Gestalt vereint. Dabei bringt sie die Welt, über die sie hinweg fliegt, erkennbar durcheinander, jedoch fehlt eine eindeutige Narration, was genau im Reich der Putten vor sich geht. Ob es sich um Genien der Jahreszeiten, der Himmelsrichtungen, der Lebensalter oder auch um Kinder des Saturn handelt, bleibt offen. Dies ist sicher kein Zufall, wo es Dürer doch in jedem Fall gelungen wäre, eindeutiger zu arbeiten, sofern er danach gestrebt hätte. Dürer liefert eher eine Bestandsaufnahme von Darstellungstraditionen als einen moralisch oder wertend zu lesenden Stich. Ungeachtet dessen, als was die vier kindlichen Gestalten letztlich zu definieren sind, scheint der entscheidende Punkt das Durcheinanderbringen einer Art Ordnung zu sein, ausgelöst durch die Hexe. Ob Dürer tatsächlich dem Hexenglauben verfallen war, bleibt hier ungeklärt – in jedem Fall aber spricht er die Sehnsucht der damaligen Menschen an, die Welt und all ihre Geschehnisse erklären zu können. In der Erfindung von übernatürlichen Wesen drückt sich der Wunsch aus, zu wissen, wo der Ursprung von Unheil aller Art lag. Dies schafft eine Verbindung von Dürer zu seinem Zeitgenossen und Freund Konrad Celtis, der ebenfalls danach strebte, eine Art Welterklärungsmodell zu liefern. Bei Dürer ist es die Hexe, die Unruhe stiftet und Schuld ist an der verkehrten Welt – so wie es zu jener Zeit eigentlich die Hexenprozesse und die damit verbundene Paranoia waren, die großes Chaos und Verderben mit sich brachten.

Bibliographie

Bachmann, Fredo: Zur Deutung des Kupferstiches „Die Hexe“ (B. 67) von Albrecht Dürer. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 75 (1988), S. 223-226.

Bandini, Ditte und Giovanni: Kleines Lexikon des Hexenwesens. 2. Aufl. München 2000.

Schoch, Rainer u.a. (Hrsgg.): Dürer. Das druckgraphische Werk. 3 Bde. Bd. 1: Kupferstiche, Eisenradierungen und Kaltnadelblätter. München u.a. 2001.

Staschen, Heidi und Hauschild, Thomas: Hexen. Königsförde 2001.

Venjakob, Judith: Albrecht Dürers „Die Hexe“, um 1500. In: Interdisziplinäre Hexenforschung online 4 (2012), Sp. 46-78.
(aus: URL: https://www.historicum.net/purl/2y7zmf/ (Stand: 06.09.2016).)

URL: https://museen.nuernberg.de/kunstsammlungen/bestaende/neuerwerbungen/die-duerer-sammlung-diehl/ (Stand: 07.09.2016).

Autorin: Sophia Rösch